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Ein Freund, ein guter Freund

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Gestern hatte ich mit einem Freund eine sehr anregende Unterhaltung. Er meinte Freundschaft zahlt sich immer aus. Meine aktuelle Theorie geht eher in die Richtung, dass ich Freundschaft in den letzten Jahren deutlich überbewertet habe und Freundschaft nur ein handliches Synonym für Aneinanderreihung von Enttäuschungen bezogen auf eine Person, die man gut kennt ist.

Vor ein paar Tagen sassen ich mit einem Grüppchen in einer Kneipe und wir haben uns angeregt unterhalten. Da meinte der eine, dass es ihn furchtbar nervt, dass sein Teenager-Nachwuchs – kaum das Haus betreten schon wieder am Telefon oder im Chat hängt, er es doch ziemlich traurig fände, dass die heute Jugend offensichtlich ausser Stande ist, sich noch vis-a-vis zu treffen. Ich habe da entgegnet, dass wir eben einen recht unschönen gesellschaftlichen Wandel durchleben, in dem eben dieses Verhalten durchweg unterstützen.

Wenn man sich die heutige Mittelschicht mal ansieht, so rennen wir doch immer noch dem Ideal hinterher, das uns unsere vorangegangenen Generationen mitgegeben habe. Wohlstand sichern, Wohlstand steigern. Ich selbst mühe mich ja auch redlich, meinen Kindern ein Leben zu ermöglichen, was meine Eltern mir ermöglicht habe. Das hat natürlich zur Folge, dass man wenig Zeit hat. Auch wenig Zeit für die Kinder. Ein Paradox eigentlich. Man rennt also jeden Tag brav ins Büro, um sein Geld zu scheffeln. Viel Geld bedeutet – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auch viel Arbeit. Und viel Arbeit führt zu wenig Zeit.

Betrachtet man dazu noch die Zersiedlung – man möcte ja möglichst hübsch im Grünen und Ruhigen wohnen -, den gesellschaftlich akzeptierten und geförderten Körperkult, einen gewissen Hang zur Selbstverwirklichung unserer Generation, so kann man feststellen, dass Kinder heute nicht mehr unbedingt so aufwachsen, wie wir früher. Wir haben ja alle noch im gleichen Viertel gewohnt. Den Kids bleibt doch heute schon gar nichts anderes mehr übrig, als sich mittels irgendeines Mediums zu unterhalten.

Und dazu leben wir Ihnen es doch auch so perfide vor. Ich weiss ja nicht, wie es bei Euch aussieht, aber meine Freunde – und ich benutze diesen Begriff sehr behutsam, ich habe nicht viele Freunde, wohl aber eine Menge Kumpels, gute Bekannte oder auch Zweckgemeinschaftsteilnehmer mit denen man etwas anfangen kann – wohnen mittlerweile quer über Deutschland verstreut. E-Mail, Handy, Chat – darüber stehen wir in Kontakt. Und ja, sicher. Eine gute Freundschaft, die gereift ist, kann man so aufrecht erhalten. Habe ich gedacht. Aber irgendwie kommt mir das heuer nicht mehr so logisch vor.

Alle meine Freunde verdienen deutlich mehr Geld als ich. Und ich verdiene schon gut. Das heisst aber eben auch, dass die Telefonate die man führt, meist vor oder zwischen einem Meeting oder Kundentermin abgehalten werden. Du, ich muss jetzt weiter. Ja. So ist das eben. Schnell, schnell. So sind wir heute.

Wenn man an sich selbst hohe Ansprüche stellt, dann kommt man nicht umhin, auch seine Freunde mit gewissen Erwartungen zu belegen. Was früher blindes Vertrauen hiess und auch irgendwie ein Stück weit implizierte, dass man empathisch die Stimmungen des Freundes aufnimmt, ist heute ein zeitlicher Luxus, den man sich kaum noch leisten kann. Sag, was Du willst und ich mache das. Schnell, schnell. Sicherlich verschieben sich die Prioritäten ein wenig. Familie, Job, Freizeitstress. Das will ja auch alles unter einen Hut gebracht werden. Schnell, schnell – fängt man sich heute auch an zu verfremden. Staccato-Telefonate und Chat-Getipsel helfen da nicht wirklich. Auch der Ton wird rauer – aber hey, ich bin vermutlich in der Beziehung nur ein Sensibelchen.

Neulich habe ich einem Freund eine Mail geschrieben, die da endete Du kannst Dich ja melden, wenn Du Lust hast. Der erste Satz, den ich am Telefon zu hören bekam war dann Ich sollte Dich anrufen. Ne, solltest Du nicht. Vergiss es einfach. Beim iPhone kann man bloss so schlecht den Hörer auf die Gabel knallen.

Ein anderer Freund rief mich an, ob ich denn nicht mal vorbeikommen könnte. Jo. Verdammt, ich bin zeitlich ziemlich unflexibel mittlerweile, aber ich sicherlich habe ich Lust zu Besuch zu kommen. Kurz vor meiner Abreise stand dann schon die nächste Person zwecks Bespassung in der Tür. Gibt dem ganzen doch etwas von Massenabfertigung.

Einer meiner Freunde beendet unsere Telefonate immer freundlich mit einem Wir hören voneinander. Das finde ich genauso sinnvoll wie ein Lass uns mal telefonieren in einer Mail. Unverbindlichkeit unter Freunden. Nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Eigeninitiative verkommt scheinbar zu einem Modewort aus vorangegangen Zeiten. Schön, dass Du anrufst! Ja, ich weiss. Schade, dass Du nie die Zeit findest. Oh doch. Moment. Hey jog – mein Computer spinnt … Ach, schön auch von Dir mal wieder was zu hören.

Und nein, ich denke nicht, dass sich das nur auf meine Freunde bezieht. Ziehen wir doch mal eine Schublade tiefer auf. Da ist der eine, der nur noch selten in der Stadt ist. Dann hat man(n) natürlich jede Menge Verpflichtungen. Trotzdem wäre es ja schön, wenn man sich mal sehen würde. Hey, wenn Du mal wieder hier bist, melde Dich doch mal. Dann trinken wir mal einen Kaffee. Lass es 15 Minuten dauern. Jau! Super! Machen wir. Danach wieder wochenlang Stille. Ich will ja auch nicht gleich zickig werden. Aber im Prinzip ist es doch ein Kreislauf. Erwartungshaltung. Enttäuschung. Hinterfragen, ob man das nicht alles zu eng sieht. Verzeihen. Erwartungshaltung … Ich überlege aus diesem Kreislauf auszusteigen.

Freundschaft zahlt sich aus. Sicher. Ich bestreite das nicht. Muss aber zynisch hinzufügen, dass es sich wohl nur dann auszahlt, wenn man möglichst wenig investiert. Dann kommt man auf seinen ROI. Klar. Mir persönlich ist das zu wenig. Insbesondere, wenn ich merke, dass es anfängt, dass eine gewisse Grundverlässlichkeit auch auf einen Level absinkt, den ich kaum noch ertragen kann.

Der Freund gestern meinte, dass es doch nicht fair wäre, wegen ein paar Kleinigkeiten oder einzelnen Personen gleich das ganze Prinzip Freundschaft in Frage zu stellen. Stimmt. Aber was ist heute schon fair? Die Aussicht, sich zukünftig nur noch selbst zu enttäuschen hat etwas herrlich meditatives. Und nur damit wir alle jetzt auch brav den Unterkiefer nach oben klappen können: Ich bin natürlich ansatzweise depressiv und meine Zeilen sind unter Garantie Prä-Midlife-Crisis geschwängert. Macht aber nichts. Ist ja mein Blog hier.

Und statt mich jetzt mit flammenden Reden von irgendwas gegenteiligem überzeugen zu wollen, geht mal in Euch und fragt Euch, ob ihr Eure Freundschaften auch ordentlich pflegt. Ich empfehle dann zum nächsten gemeinsamen Treffen ein Geschenk ala Für Immer – Hausmarke.

PS: An meine lieben Freunde, Kumpels und andere – Natürlich bist DU nicht gemeint. Diese Zeilen sind auch kein Hilfeschrei. Mitnichten. Ich überlege nur mal laut.

17 Kommentare

  1. Freunde kommen, Freunde gehen.

  2. Wirklich passend und treffend auf den Punkt rausgearbeitet….

  3. Für mich klingt das am ehesten so, als ob Du zu viele Leute „Freund“ nennst – nicht böse gemeint.
    Und zum Thema Kinder und Spielgefährten: Die Bälger könnten auch heute vielfach noch mit den Nachbarskindern spielen. Aber vielleicht ist Moritz Tobias vom andern Ende der statt halt interessanter als Paul von nebenan. Früher war Entfernung eben ein grösseres Problem als heute (zumindest für Kinder).

  4. Pingback: Ostern bei Freunden in Bielefeld

  5. Guter Beitrag, der zum Nachdenken anregt.
    Danke.

  6. Vorab: Die Definition von Freundschaft ist hier natürlich der Ausgangspunkt, aber nach dem Artikel gehe ich davon aus, dass es eher was tieferes bei dir ist

    Na, so ist das – als Student der schon mal da, mal dort war, und sich zu dem Thema schon viele Gedanken gemacht hat, sehe ich das mittlerweile so: viele Menschen haben nicht den Drang wirkliche Freundschaften aufzubauen: ’so ist das Leben‘ oder ‚man lebt sich auseinander‘ oder ‚aus dem Augen aus dem Sinn‘ hört man dann.

    Dazu kommt die Unfähigkeit der meisten, an langfristigen Projekten, die aktuell nicht akut sind oder nie akut werden, regelmässig zu arbeiten (also eine Selbstmanagement-Herausforderung).

    Ja deren Leben wird gekennzeichnet sein, dass sie keine Freunde haben werden, bzw. dass es in einer flexiblen Zeit für sie extrem schwierig sein wird Freundschaften zu pflegen und damit für dich als Gegenpart diese Freundschaften aufrecht zu erhalten, denn es gehören ja immer zwei dazu. .

    Im Endeffekt habe ich kennengelernt, wenn man durch verschiedene Schulen geht, wenn man mal da mal dort war, wenn man es schon einige Male versucht hat, Freundschaften aufzubauen und zu halten, dass etwa auf E-Mails selten was zurückkommt, dass viele Weggefährten aber eben keine Freunde sind, und dass man sich auch auseinanderleben kann, wenn man sich einige Jahre nicht sah, man entwickelt sich ja auch in Richtungen und will dann mit dem anderen seine wertvolle Freizeit nicht mehr verbringen.

    Wenn man das Verlangen hat, tiefgreifende Freundschaften aufzubauen, kann man nicht mehr tun, als es immer wieder zu versuchen, dann in diese Beziehungen einzubezahlen, und stösst dann (selten) auf Leute die genau das gleiche machen – dann wird es für beide Seiten ertragreich. Auch die Definition von ertragreich ist hier wichtig, der eine mag da eher was moralisches, der andere was wirtschaftliches verknüpfen.

    Wenn ich mal eine erfolgreiche Strategie hat, wie man ohne so viele Eigentore ans Ziel kommt, geb ich Bescheid, bis heute suche ich noch danach, aktuell will ich mich einer Organisation anschliessen, bei der ich glaube, dass dort viele so sind wie ich, beziehungweise die gleichen Ziele verfolgen – mal schauen ggf. sehen dass dort dann viele auch so wie ich.

    Die Gedanken zur Suche nach Freundschaften kann man auch generell auf die Suche nach einem Partner oder einem Job umlegen, denke ich – sozusagen, die Suche nach einer ertragreichen Beziehungsarbeit, auch wenn man den „Ertrag“ in den unterschiedlichen Zielen, Beruf, Beziehung, Freundschaft wohl anders definiert – frohe Ostern Jog ….

  7. Sehr, sehr treffend :´-/

  8. Stadt statt statt. Komische Verbuchswechslung.

  9. @Will sagen
    Nach meiner Definition einer Freundschaft kommen und gehen Freunde eben nicht.
    Was du meinst sind Bekannte…

  10. @Gucky: Das kommt eben genau auf die Definition an. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich (ehemalige) Bekannte zu einer bestimmten Zeit als Freunde bezeichnet habe. Damals konnte man noch nicht ahnen, dass, wie und warum man sich aus den Augen verliert. Nach deiner Definition wüsste man erst nach dem Tod, wer wirklich ein Freund war. Das wäre mir zu spät.

  11. Pingback: Blog-Lesetipp zu Ostern: Freundschaft | killefit.net

  12. ROI und Freundschaft? Solche Dinge passen für mich nicht zusammen. Ich habe einen überschaubaren Freundeskreis, weiß aber von jedem einzelnen, dass ich gern gesehen bin und Hilfe bekomme, wenn es absolut notwendig ist. Solche Dinge müssen bei mir nicht besprochen werden, ich bin halt so.
    Früher war es so, dass man Dinge nicht unbedingt für bar nehmen sollte, die an einer Kneipentheke „versprochen“ oder zugesagt wurden, heute habe ich den Eindruck, dass das soziale Leben, das Zwischenmenschliche sich auf die gesamte Umwelt jenseits selbst einer Kneipe so entwickelt hat. Mich bringt ein Mensch nur einmal zum straucheln, zum Fallen sicher nie. Ich bin persönlich sehr froh, wenn Krisen die Spreu vom Weizen trennt. Da kann ich sehr konsequent sein.

  13. @Plebejer: Natürlich gibt es in einer Freundschaft einen ROI. Gerade da. Sobald man Freunden hilft (und das dürfen durchaus auch Leute sein, die ich tatsächlich für meine Freunde halte), erwartet man in irgendeiner Form eine Reaktion. Sei es Gegenhilfe, Anerkennung, Einladungen, was auch immer. Bleibt das alles aus, ist es eben keine Freundschaft – sondern ausnutzen. Jog erwähnte es sehr treffend im Zusammenhang mit „Mein PC spinnt mal wieder … äh … könntest Du?“. Klar kann ich, mache ich sogar manchmal gerne. Aber wenn sich Treffen und Kommunikation nur noch auf diese Gelegenheiten reduziert, stelle ich mir die Frage, inwieweit ich ansonsten noch eine Relevanz für „den Freund“ habe.

    Ich bin jemand, der so gut wie nie „nein“ sagen kann, wenn er nach Hilfe gefragt wird. Dummerweise bin ich zusätzlich jemand, der nie nach Hilfe fragt und lieber alles allein macht. In dieser Kombination geschieht es häufig, dass obige Konstellation eintritt.

    Im Moment würde ich höchstens 2, vielleicht drei Menschen als richtige Freunde bezeichnen. Und selbst bei denen bin ich was „helfen“ und „treffen“ angeht so langsam am Grübeln, ob die das genauso sehen was mich angeht.

  14. @Andreas: Ich erwarte genau bei dem Personenkreis nichts, weil ich nicht warten muss. Vielleicht missverständlich ausgedrückt.

    Ich bin in der glücklichen Lage meine Lebensgefährtin und sogar meine Ex-Frau (wieder verheiratet. Bevor Einwände kommen.) als wahre und echte Freunde bezeichnen zu können. Mit Männern ist das so eine Sache. Ich kann die Bedenken, die jog, aber auch du geäußert haben, sehr, sehr gut nachvollziehen. Mich macht dieser „Vergleichswettbewerb“ schon lange nicht mehr an.

    Ich kenne die Problematik, dass ich ausgenutzt werde. Trotzdem muss ich sagen, dass ich gern helfe, weil es mir Spaß macht. Mich stört diese Erwartungshaltung. Dieses Verhalten macht unsere Welt kühler. Das muss sich nicht mit euren Erfahrungen decken. Ich bin durchaus ein Mensch mit spitzer Zunge, aber auch ich kann kaum „NEIN!“ sagen. Dabei bin ich der letzte Mensch, der von „allen“ gemocht werden will.

  15. Du…sollenen wir darüber reden oder reicht es wenn ich in zwei wochen rum komme, wir uns aufs sofa setzen und ich chips und bier alle mache?
    Lass uns telefonieren :)

  16. Pingback: Freunde | mein Senf

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