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Vater sein dagegen sehr

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Ich halte mich für einen lifestyle nerd. Ich würde mich durchaus als digital native bezeichnen, seit meinem 15. Lebensjahr oder so, besitze ich etwas, was sich Computer nennt. Ich war in meinem Bekanntenkreis der Erste mit einem Internetzugang, einem ISDN-Anschluss, einer Homepage, einem Laptop, einem DSL-Anschluss, einer eigenen Domain. Ich habe während meiner Studienzeit mehr Zeit im Internet als in Vorlesungen verbracht. Ich arbeite seit 1995 im Online-Bereich. Ich bin seit 1997 durchgehend nebenberuflich selbstständig in diesem Bereich. Ich kaufe seit Jahren mehr online als im Ladengeschäft. Ich bin vernetzt in diversen social networks und nutze diese auch wirklich. In unserem Haushalt werden zwei iPhone, drei Laptops und ein iPad genutzt. Wir haben eine Wii und eine Playstation. Ich lebe und liebe das Internet. Und es gefällt mir genauso.

In meinem Freundeskreis schütteln immer noch viele Leute den Kopf, wenn sie mich hören oder agieren sehen – immerhin, ich habe einen realen Freundeskreis. Ich mag mein digitales Leben. Alles ist gut.

Alles war gut. Bis gestern. Bis gestern Abend.

Der Tatort ist gerade vorbei. Bei Jauch diskutiert man den Untergang des neuen Griechenlands. Da steht Nachwuchs 1.0 in der Tür und winkt mit dem zwei Jahre altem Nintendo DS. Das Kind hat den Nachwuchs 2.0 damit erwischt. Denn statt wie vereinbart in Morpheus Armen zu schlummern, hatte mein 5jähriger Sprössling sich dafür entschieden, Super Mario noch ein wenig durch digitale Welten springen zu lassen. Sonntag nacht, 22 Uhr in Deutschland.

Und ich kann sagen, dass da kein Funke Stolz mein müdes Gemüt in Wallung brachte. Vielmehr war ich stinkend wütend auf das Kind. Absprachen ignoriert. Versprechen gebrochen. Gefühlte zwei Atemzüge später (real bin ich die Treppe hochgekeucht, ich muss wirklich wieder anfangen zu laufen), steht ich neben dem Bett des Kindes. Beherrscht gibt es eine Moralpredigt mit anschliessendem Verbot. Mit einem „Ich habe Dich wirklich über alles lieb, aber jetzt bin ich gerade sehr enttäuscht. Gute Nacht!“ knipse ich das Licht aus und hoffe inständig, dass ich mich klar und kindgerecht ausgedrückt habe.

Der Weg zurück aufs Sofa erscheint mir unendlich lang. Zu viele Gedanken formen sich gekonnt zu einer fetten Faust™, die sich beharrlich ihren Weg in meinem moralische Magengrube bahnt.

Wochenende. 7 Uhr am Morgens. Irgendwo in Deutschland. Nachwuchs 2.0 wacht auf und läuft ins Wohnzimmer. Da sitze ich – das MacBook auf den Knien – und lese. Standard eben. Das Kind will Kita gucken, ist ok, ich sitze daneben. Im Internet gibt es auch so verdammt viel zu lesen. 9 Uhr. Die Familie hat sich zum Frühstück zusammengefunden. Das iPhone in der Hand, suche ich passende musikalische Untermalung für das Essen, die dann fröhlich aus dem B&W Zeppelin Air klingt. Zwischendurch skippe ich mal ein Lied, was gerade nicht so passt. 12 Uhr. Wir spielen Mensch-ärgere-Dich-nicht. Ich verliere (und ärgere mich!). Schnell das iPhone gezückt, ein Photo geschossen und rauf zu Facebook. 16 Uhr. Ich brauche neue Schuhe, ich weiss auch welche. Finde sie bloss nicht. Die Finanzministerin guckt mit. Natürlich bei Amazon, also am MacBook. 17 Uhr. Ich will jetzt mal Playstation spielen, ich komme ja sonst kaum dazu. 18 Uhr. Mit dem iPad mal eben sehen, was das Fernsehprogramm für den Abend bietet. 19 Uhr. Nachwuchs 2.0 guckt das Sandmännchen. Ich sitze daneben. Notebook auf dem Schoss. 20 Uhr. Der nachwuchs sollte schon schlafen, muss aber aufs Klo. Im Fernsehen läuft die Tagesschau. Ich surfte parallel am iPad, die Finanzministerin hat das Notebook auf den Knien. Ein ganz normaler Tag eben. Die unzähligen Male „nur mal eben nach Mails gucken“ halte ich nicht für erwähnenswert.

Und ich bin jetzt innerlich ziemlich zerrissen. Ich mag mein Leben so, so wie es ist. Aber mir missfällt ganz deutlich, dass mein Nachwuchs mit dieser Form des Medienkonsums aufwächst. Es ist auch nicht so, dass das Kind nicht durchaus auch anderweitig bespannst wird: Basteln, Lesen, Brettspiele, Spielen im Garten, Ausflüge, Kuscheln, usw. usf. Aber dann. Gestern waren wir bei Freunden. Die haben einen riesigen Keller und darin steht eine Tischtennisplatte. Erzählungen zufolge, steht mein Nachwuchs vor der Platte, wedelt unkoordiniert mit dem Schläger und freut sich „Das ist ja wie auf der Wii“. Verdammt.

Irgendwas muss ich ändern. Glaube ich. Ich möchte nicht, dass jemand mein Kind mal als wohlstandsverwahrlost bezeichnet. Irgendwas muss ich ändern.

6 Kommentare

  1. das klingt, als ob ihr unserer Parallelhaushalt seid. :)

  2. Ob Du es glaubst oder nicht, meine Kinder haben immer noch limitierte Medienzeiten. Ob es das bringt? Ich bilde mir dabei ein, sie würden dann weniger „wohlstandsverwahrlost“. Sprechen wir uns wieder, wenn sie erwachsen sind. Keine Ahnung, ob das was wir da tun, gut für sie ist.

  3. begrenzt sind die medienzeiten für unsere kinder auch, es ging wohl eher um die vorbildfunktion der eltern und das brechen der regeln des nachwuchses

  4. Schickt sie doch zu den Pfadfindern (ich hätte nicht gedacht das ich das mal sagen würde). Da lernen Sie zusammen mit gleichaltrigen, vergleichsweise technologielos Spass zu haben, nebenbei die Hand-Augen Koordination zu üben (ohne Joystick) und so Dinge wie Verantwortung, Respekt und Gegenseitige Rücksichtnahme.

  5. Fernsehgucken gibt es bei uns auch nur am Wochenende mal etwas länger … Wetten Dass, Schlag den Raab o.ä. „Großevents“. Ansonsten die Sendungen zwischen 19 und 20 Uhr auf Kika. Allerdings sind 8 Jahre ganz offensichtlich ausreichend, um sich den Rechner selbst anzumachen und auf Youtube die neuesten Folgen von CloneWars zu suchen … ich überlege tatsächlich einen Router mit entsprechender Filterfunktion anzuschaffen, obwohl ich glaube, durchaus ein bisschen in die richtige Richtung „erziehen“ zu können.

    Aber der Junge bekommt es hier ja auch vorgelebt, Handy liegt beim Essen mit am Tisch, Laptop im Wohnzimmer, Werkstattkeller und im Arbeitszimmer liegt für den Fall dass der Rechner mal belegt ist auch noch ein altes ThinkPad rum … ich bin ein bisschen froh, dass es anderswo auch so ist 😉

  6. „Schickt sie doch zu den Pfadfindern“

    Word! Und wenn Du ggf. Hilfe bei der Auswahl eines Stammes/Bundes brauchst, dann sag Bescheid. :)

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