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ein Mann sein, seinen Mann stehen – auch nicht immer leicht

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Als ich letzten Freitag mit meiner Kundin die unterschiedlichen locations abgeknipst habe, stand da unter anderem einen Hünengrab auf der Karte. Bei Ueffeln im Osnabrücker Land. An der Dorfstrasse rechts ab, wieder rechts, am Ende rechts, auf einen Feldweg, den ein ganzes Stück weit und dann durch ein kleines Wäldchen hindurch. Kurz gesagt, ziemlich jwd.

Ich habe also die Steine geknipst. Mal so, mal so. Neben dem Grab steht eine Bank. Da kann man innehalten. Auf dem Tisch der Bank hatte jemand ein Kreuz aus kleinen Steinen gelegt. In der Mitte hatte dieser jemand ein Teelicht platziert.

kreuz.jpg

Aha, niedlich. Kurz draufgehalten. Knips Schon vergessen. Zumindest so gut wie, denn die Sonne bequemt sich ein paar Strahlen auf die Grabsteine zu werfen. Tolles weiches Licht – da will ich ein zwei gute Schüsse platzieren.

Du jog – da liegt ein Schlafsack – da hinten. Hm? Ich glaube da liegt einer drinne … Öh? Geh mal gucken – nicht dass der tot ist …

_tot_ ?

Uh.

Kurzes Rewind: Wir sind am Ende der Welt bei einem Hünengrab. Auf einer Bank hat jemand ein Kreuz gelegt und dahinten liegt ein Schlafsack mit Inhalt? AAAaaaaaaaaahhhhh!

Denke ich. Verdammt. Denke ich auch. Da stehe ich. Vor Kraft strotzend 2.5 Kilo Hightech am Arm. Und ich finde den Gedanken, diesen Schlafsack näher zu untersuchen alles andere als attraktiv. Naja. Erstmal runterspielen… Ach, da hat bestimmt nur jemand seinen Müll entsorgt. Murmel ich und habe gewissenhaft die Kamera schon wieder im Anschlag. Knips.

Guck doch mal!

Örks. Ich will nicht. Echt nicht. Was wenn ich da einen Penner wecke und der mir sogleich mit seinem nackten Arsch ins Gesicht springt. Oder ich entblättere eine halbverweste Leiche. Ich habe noch nicht mal gegessen und mir ist bei dem blossen, nanosekundenlangen Gedanken schon kotzübel. Ich schaue meine Begleiterin an. Ein Fehler. Helferinstinkt meldet sich. Sei ein Mann! Sei ein Mann! Verdammt. Wie war das noch mit dem Ablegen von Rollenklischees und der Emanzipation und überhaupt.

Mir liegt ein Du, ich habe alle Bilder im Kasten, lass uns weiter auf den Lippen. Aber nach meinem kurzen Blick ist mir vollkommen klar – ich _ muss _ JETZT _ diesen _ Schlafsack _ ansehen. Verdammt! Verdammt! Meine Begleiterin ist nicht nur sehr apart sondern auch noch attraktiv. Da meldet sich mein Ego. Wie immer genau auf den Punkt, an dem ich es überhaupt nicht gebrauchen kann. Alter! Willst Du Dich lächerlich machen? Wo bleibt Deine ritterliche Einstellung? Immer schön einen auf dicken Macker machen und jetzt die bibbernde Heulsuse? Hm, wenn Du mich so fragst, JA! Was soll die gute Frau denn von Dir denken, hä? Vielleicht, dass ich ganz toll Internet kann und auch halbwegs brauchbare Fotos knipsen kann, sonst aber eher eine Memme bin? Hömma Hase, das geht jetzt gerade gar nicht. Du reisst Dich jetzt verflucht nochmal zusammen, schlenderst locker auf diese olle Decke zu und sondierst die Lage! Aber, ich Halt die Klappe, mach!

Verdammt. Ich schlendere – wenn man zaghaftes Schleichen denn so nennen will – in Richtung Schlafsack. Ein letzter – wahrscheinlich mein letzter überhaupt – Blick über die Schulter, um meiner Begleiterin einen aufmunterndes Nicken zuzuwerfen, was mir aber selbst Mut spenden soll. EY! Die geht weg – die entfernt sich – hallo? HALLO? Verdammt. Ich umklammere die Nikon mit der rechten Hand. Fest. Wenn Du _werauchimmer_ denkst, Du kannst mir etwas anhaben, dann bekommst Du 3 kg Hightech auf die Omme! Das verspreche ich Dir. Von dem Schlafsack trennen mich noch gut 10m. Ich wünschte ich hätte ein Teleobjektiv. Jetzt noch neun einhalb Meter.

Gut, denke ich, wenn sie jetzt eh weggegangen ist, dann drehe ich einfach um und sage, es war nichts. Weichei, denk nicht, geh endlich! Scheiss Ego! Neun Meter. Warum ist da auch dieser olle Busch, der mir die klare Sicht nimmt. Immer noch neun Meter. Ich atme ein, ich atme aus. Ich definiere Schlendern gerade neu.

Ach Scheisse, was solls – Hauptsache nicht langweilig. Sechs Meter. Fünf Meter. Drei Meter. Reicht. Über so einem ollen Busch hat irgendein naturverachtender Spacken seinen Schlafsack geworfen. Sieht tatsächlich so aus, als läge einer drunter. Ist aber nur ein Busch.

Vier Meter. Fünf Meter. Ich gehe rückwärts. Erstmal. Sicher ist sicher. Okkulte Scheisse. Man weiss ja nie. Mann auch nicht. Neun Meter. Mein Nacken ist aus Granit. Meine Nackenhaare aus Draht. Ich drehe mich um.

Du, wie ich gesagt habe, da hat nur einer seinen Schlafsack weggeschmissen. strahle ich triumphierend. Einen kurzen Augenblick. Himmel. Jetzt darf ich mich wieder wochenlang von meinem Ego verhöhnen lassen. Danke!

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Zeitsprung aufs Sofa gestern Abend. Ich erzähle der Finanzministerin von meiner Heldentat. Sie lacht. Zuerst. Und dann Poah! Wenn ich das gewesen wäre, mich hättest Du da selbst hingehen lassen! Poooaaaah!

Super. Ich mochte Hünengräber noch nie.

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